Lead Nurturing im B2B-Vertrieb

Teil 3: Leadqualifizierung und Buying Center-Modelle

Leadqualifizierung ist der Prozess der mehrfachen Bearbeitung und Kontak­tierung eines Leads, um das Interesse der Person zu wecken bzw. zu steigern. Ziel dieses Prozesses ist die Entwicklung eines Leads zu einer realistischen Verkaufschance (Opportunity) und die Übergabe an das Vertriebsteam (Marketing Qualified Lead).

In der Praxis sind Leads ein häufiger Auslöser für gegenseitige Kritik: Der Vertrieb bemängelt die schlechte Qualität der Leads und die unnötig aufgewendete Arbeitszeit, das Marketing das zu aggressive Vorgehen. Besonders in kleinen und mittelständischen Betrieben wird jeder Erstkontakt unmittelbar vom Vertrieb „angegangen“ und mit einem Angebot versehen oder für immer vergessen – sogar im Systemgeschäft.

Das Marketing ist jedoch „anders gestrickt“. Es arbeitet mit einem digitalen Langzeitgedächtnis an der kontinuierlichen Erhöhung der Kaufwahrscheinlichkeit jedes einzelnen Leads.

Zielgruppen vs. Zielpersonen

In der aktuellen Online-Diskussion wird die Zielgruppenorientierung des Marketings für überholt erklärt und die Zielpersonenorientierung gehypet. Customer’s Journey und Buyer Persona sind die Schlagworte hierfür.

Bereits in den 90er Jahren wurde One-to-One-Marketing propagiert und war damals ebenso falsch wie heute. Marketing richtet sich immer an Gruppen aus – sonst hieße es ja Vertrieb (siehe Fischer vs. Angler). Richtig ist jedoch auch, dass zusätzlich zu der Kategorisierung nach rein demographischen Kriterien (Branche, MA-Zahl, Position, …) aufgrund digitaler Trackingmethoden individuelles Verhalten wesentlich intensiver gemessen und personenbezogen analysiert werden kann noch bevor der Vertrieb oder Vertriebsinnendienst einen Kontakt zu der Person hatte. In der bekannten „Kontakthistorie“ werden reale Vertriebskontakte (Telefon, Besuch, …) im CRM dokumentiert und allenfalls noch Postmailings als zugesendet / reagiert festgehalten. Mit digitalen Trackingmethoden können heute auch Wege des individuellen Informationsverhaltens gemessen werde. Aus diesen individuellen Verhaltensmustern werden dann Interessen und andere personenbezogene, teilweise psychologische Schlussfolgerungen abgeleitet und mit entsprechenden Marketingmaßnahmen bzw. Ausgestaltungen von Marketingmaßnahmen reagiert.

Eine Möglichkeit der Kategorisierung bieten die seit den 70er Jahren im B2B Marketing bekannten Buying Center-Modelle von Witte oder Webster & Wind. Diese weisen Personen unterschiedliche Rollen im Investitionsprozess zu und diesen Rollen wiederum unterschiedliche Entscheidungskompetenzen und -kriterien. Bei der Übergabe eines qualifizierten Leads an den Vertrieb kann das Marketing also nicht nur die Informationen Name, Firma, Interesse an, Wertigkeit, sondern auch ein „Mini-Psychogramm“ liefern.

Das Marketing kann seine Maßnahmen heute nicht mehr nur an demographischen Merkmalen, sondern auch an Verhaltensmerkmalen ausrichten. Hierzu werden Personen jedoch wieder möglichst homogen aggregiert und dann diese „Zielpersonengruppen“ beworben.

Stufe 1 der Leadqualifizierung: Datenqualifizierung

Ziele der Datenqualifizierung sind

  • Ausschöpfen aller von Ihnen genutzten Kommunikationskanäle und Variation der Kontaktwege
  • Typisierung nach demographischen Merkmalen für zielgruppenspezifische Maßnahmen
  • Personalisierung und Individualisierung der Marketingmaßnahmen

Der Aufwand hängt vom Ausgangsmaterial ab:

Jeder Besucher Ihrer Website hinterlässt eine Spur: IP-Adresse, Wegestatistik, Aufenthaltsdauer

Zwar können Sie nicht identifizieren, welche Personen auf Ihrer Website waren, jedoch den IP-Inhaber. So erfahren Sie, welche Unternehmen sich für welche Ihrer Leistungen interessieren. Welche Lösungen zur Besuchererkennung Ihren Bedarf decken, können Sie bei uns anfragen. Wir beraten anbieterübergreifend.

Ganz nebenbei erfahren Sie auch, welche Wettbewerber Ihre Webseiten beobachten und welche Bestandskunden sich weiterhin über was bei Ihnen informieren.

Wie viele und welche Daten bei Inbound-Maßnahmen abgefragt werden, ist immer eine Abwägungsentscheidung zwischen niedriger Reaktionsschwelle und hilfreicher Datengewinnung. Oft müssen Interessierte nur Ihre E-Mail-Adresse, allenfalls noch ihren (einen) Namen hinterlassen, um „Goodies“ (Newsletter, Whitepaper, Webinar, …) zu erhalten. Im B2B-Bereich empfehlen wir, mindestens die vollständigen Stamm- und Kontaktdaten abzufragen. Andernfalls müssen diese über aufwendige Einzelrecherchen angereichert werden.

Erstellen Sie einen für Ihr Unternehmen sinnvollen Typisierungsschlüssel für vorhandene oder ermittelbare demographische Merkmale von Unternehmen (Branche, U-Größe, ..) und Personen (Position, Abteilung, ..). Pro Merkmal genügen i. d. R. 3 bis 4 Ausprägungen. Der Typisierungsschlüssel muss im CRM abgebildet werden. Freitextfelder sollten hier unbedingt vermieden werden können. Die Typisierung zugekaufter Adressen sollte kompatibel zu Ihrer sein.

Stufe 2 der Leadqualifizierung: Kontakthistorie

Zentral über das CRM gesteuerte Marketingmaßnahmen werden i. d. R. automatisch in einer personenbezogenen Kontakthistorie dokumentiert. Reaktionen, die außerhalb dieses Systems erfolgen, müssen manuell nachgetragen werden. Bsp.: Zusage nach postalischer Einladung, Anforderung von Info-Material. Die so ermittelten Kontakthistorien können personen- und gruppenbezogen analysiert werden und geben Aufschluss über präferierte Kontaktwege, thematische Interessen und mehr. Messbar sind jedoch nur die erfolgten Kontaktversuche und tatsächlich realisierten Responses.

Stufe 3 der Leadqualifizierung: Verhaltens-Tracking

Mit digitalen Tracking-Lösungen erhalten Sie auch Informationen über das Adressatenverhalten unterhalb einer aktiven Rückäußerung. Aktivitäten wie E-Mail um X Uhr geöffnet, Thema A geklickt, Landingpage besucht, Formulareintrag abgebrochen, aber auch 3 Newsletters nicht geöffnet können gemessen werden.

Aus den demographischen und den Verhaltensmerkmalen können individuelle Profile erstellt werden, die die Bedeutung der Personen innerhalb von Entscheidungsprozessen beschreiben. Die bekanntesten Modelle zur Kategorisierung sind das Buying-Center-Modell von Webster & Wind sowie das Promotoren-Opponenten-Modell von Witte.

Buying Center-Modell

nach Webster & Wind

Ein Buying Center ist keine feste Institution in Unternehmen. Es wird projektbezogen organisiert oder ist latent und informell vorhanden. Nicht jede Rolle muss vorhanden sein. Eine Person kann mehrere Rollen innehaben. Es handelt sich um eine Typisierung, aus der Marketing und Vertrieb in unterschiedlichen Phasen des Verkaufsprozesses Vorgehensweisen und Argumentationen ableiten können.

Promotoren / Opponenten Modell

nach Witte

Mit vielen Investitionsentscheidungen sind Innovations- und Änderungsprozesse im Zielunternehmen verbunden. Diese stoßen oft auf Willens- und Fähigkeitsbarrieren. Wer ist im Entscheidungsprozess Ihr „Komplize“, bei wem müssen Sie Hürden abmildern? Hieraus ergeben sich Argumentations- und Informationsschwerpunkte, die typenbezogen eingesetzt werden. Tipp: Wenn ein Prozesspromotor identifiziert werden konnte, machen Sie diese Person zu Ihrem wichtigsten Verbündeten.

Stufe 4 der Leadqualifizierung: Lead-Bewertung

In 90% aller Vertriebsorganisationen wird noch immer IBMs BANT-Modell zur Lead-Bewertung eingesetzt. Aus den gewichteten Bewertungskriterien Budget, Authority (Entscheidungsbefugnis), Need und Time (Entscheidungshorizont) wird ein Gesamtwert errechnet, der die Vertriebsrelevanz eines Leads (oder auch eines Bestandskunden) in A / B / C kategorisiert.

Warum das BANT-Modell längst überholt ist und welches Modell besser zur Lead-Bewertung geeignet ist, ist Thema des nächsten Teils unserer Lead Nurturing-Serie.

Erst bei Erreichen eines definierten Werts wird ein Lead zur weiteren Bearbeitung an den Vertriebsinnendienst oder den Vertrieb geleitet. Und natürlich sollte es auch weiterhin in die Marketingmaßnahmen eingebunden bleiben.